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 LKW-Billigfracht: Steuer- und Sozialbetrug, Lohndumping - ein europaweites, teures Fiasko
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 Zu unserem freien Europa gehört natürlich auch ein freier Güterfrachtverkehr.

Was wir branchenfremden Bürger davon sehen, sind ständig wachsende LKW-Kolonnen auf unseren Autobahnen, überfüllte Rasthöfe und LKW-Parkplätze. Und in den Supermarktregalen verdrängen weitgereiste Konsumwaren per Sonderangebot heimische Qualitätsprodukte.

Was man erst auf den zweiten Blick sieht, ist das damit verbundene Desaster, bestehend aus unterbezahlten Truckern, aussterbenden ehrlichen Spediteuren, Milliarden an hinterzogenen Steuern- und Sozialabgaben, sowie vermeidbare Umweltschäden.


Ergonomie von Fahrerarbeitsplätzen, richtige Ladungssicherung, Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten - viele Problem-Themen finden schon seit Jahren in meiner Redaktionsarbeit von Edition Professionell ihren Platz. Aber hier geht es um eine andere Dimension.

Nach den europäischen und nationalen Gesetzen / Richtlinien / Verordnungen sollte es so sein, dass z. B. ein Spediteur aus Rumänien seine Fahrer samt Fracht aus der dortigen Heimat auf den Weg nach Deutschland oder selbst bis Portugal, ans andere Ende Europas, schickt. Auf dem Weg oder Slalom durch Europa kann er in allen Ländern Fracht ausliefern, für Teilstrecken und dafür notwendige Umwege zuladen - aber am Ende der mehrtägigen Tour "landet" der Fahrer mit seinem LKW wieder auf dem Hof der heimischen Spedition, um dort seine freien Tage mit Familie und im eigenem sozialen Umfeld zu verbringen. Für fairen Lohn und Wettbewerb mit hiesigen Spediteuren bekommen die Fahrer zeitanteilig zumindest den gesetzlichen Mindestlohn des jeweiligen Ziel- oder Transitlandes und die dort üblichen Reisespesen.

Die bittere Realität

Die Realität kann man hingegen fast als Sklaverei der Landstraße bezeichnen: Das offenkundig immer mehr dominierende Geschäftsmodell in der europäischen Speditionsbranche ist ein Geflecht von diversen Tochterunternehmen mit vielen tausend kleinen Subunternehmern, vornehmlich in den "billigsten" Ländern Osteuropas.

Die oft namhaften Markenspediteure lassen sich von den Subunternehmen offiziell die Einhaltung aller quer durch Europa geltenden Rechtsvorschriften bestätigen, wissen aber, dass aus den immer tiefer geknebelten Billig-Frachttarifen kein westeuropäischer Mindestlohn mehr bezahlbar ist.

Obendrein pendeln Tausende von Fahrern nicht mit dem LKW zwischen Heimat und den Zielländern. Die einmal gen Westen gelenkten LKW verbleiben dort weitgehend über Monate. Die Fahrer werden alle paar Wochen ausgetauscht - selbst als unbezahlte Billigfracht, in armseligen (Klein)Bussen, quer durch Europa. Mit leerer Tachoscheibe (heutzutage natürlich elektronische Fahrerkarte) sitzen sie schon auf der ersten Fahrt nach der Anreise übermüdet am Steuer.

Die internationalen Speditionen unterlaufen nebenbei die Pflicht, die LKW in den Ländern anzumelden, zu versichern und zu versteuern, wo sie zumeist unterwegs sind - was weitere Kosten reduziert.
   
   
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 Spediteure, die nicht mit billigsten Subunternehmern fahren und ihre Fahrer fair bezahlen, können die sinkenden Frachtpreise nicht verkraften, verlieren die Aufträge oder gehen durch Defizite in Insolvenz.

Statt anständig bezahlter Fahrer mit ordentlicher Sozialversicherung haben wir in Europa ein Heer an heimatentwurzelten Nomaden, die selbst die fahrfreien Wochenenden auf überfüllten Rasthöfen und nicht selten auf Parkplätzen ohne Sanitäranlagen verbringen.

Bundesweit gibt es ca. 400 Autobahnraststätten, hunderte Autohöfe nahe der Autobahnausfahrten und geschätzt über 1.000 weitere Autobahnparkplätze mit oder ohne WC-Anlage. Auch entlang der Bundesstraßen finden sich Parkplätze, wo Trucker ihre Zwangs"freizeit" verbringen. Multiplizieren wir das mit der Summe der teils sogar überbelegten Stellplätze je Rasthof/Parkplatz, kommen wir allein in Deutschland auf deutlich über 100.000 Betroffene, europaweit ein Mehrfaches.

Recherchen anderer Medien haben offenbar Mühe, den Grad der Unterbezahlung zu ermitteln, weil befragte Fahrer aus Angst vor Arbeitsplatzverlust schweigen. Teilweise sollen die Fahrer ca. die Hälfte eines regulären Mindesteinkommens haben, nicht wenige, z. B. aus Rumänien, werden aber offenbar mit wenigen hundert Euro je Monat abgespeist und bekommen auch keine akzeptablen Reisespesen, um sich unterwegs zumindest halbwegs gesund zu ernähren und die Freizeit überhaupt nutzen zu können.

Wenn die Billigspediteure geschätzt pro Fahrer und Monat 2.000 € an Sach-, Lohn-, Sozialkosten und Steuern scheinlegal umgehen, wären das für europaweit 500.000 Fahrer 12 Mrd. € jährlich.

Falls dieser "Gewinn" überhaupt durch niedrigere Produktpreise bei uns (europaweit ca. 500 Millionen) Verbrauchern ankommt, sparen wir pro Nase bescheidene 2 €/Monat.

Diesem Spuk mit einer Durchsetzung des europäischen Rechts ein Ende zu bereiten und aus dem Heer armer Nomaden fair behandelte Arbeitnehmer zu machen, ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, wenn wir eine "soziale" Marktwirtschaft sein wollen - es ist auch eine Frage gelebter europäischer Identität.

In Belgien, Frankreich und einzelnen anderen Ländern gibt es erste Ansätze das Problem einzugrenzen - in Deutschland, dem großen zentralsten Transitland Europas herrscht Tatenlosigkeit.

Umweltfolgen

Die Umwelt leidet nicht nur unter Lärm und Abgasen der vielen LKW. Die ökonomisch+ökologisch sinnvollere Bahnfracht wird durch die Dumpingpreise benachteiligt und verliert Marktanteile.

Auch das Ziel besser heimische Produkte zu konsumieren und Obst und Gemüse der Saison zu bevorzugen, wird durch Billigtransporte unterlaufen, die uns noch mehr ferngereiste Sonderangebote auftischen. Auch hier ist der örtliche Mittelstand Verlierer gegen marktmächtige Konzerne und international agierende Handelsketten.

Das Drama hat viele Seiten - aber keine Guten.

Rolf Albrecht
     
   
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