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 Leiharbeit, Werkverträge und
Subunternehmertum wieder auf ursprünglichen Sinn reduzieren
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 Kommentar

In der Fleischindustrie hat die Corona-Pandemie endlich den politischen Druck erzeugt, die unwürdigen Arbeitsvertrags- und Lebensbedingungen der unterbezahlten Osteuropäer zu beenden, indem dort nun Werkverträge und Leiharbeit verboten werden.

Aber der Lösungsansatz greift viel zu kurz:

Der einzige Sinn von Leiharbeit ist die variable Verfügbarkeit von Arbeitnehmern für Auftragsspitzen, oder den vorübergehenden Ersatz, wenn jemand durch Krankheit, Mutterschutz usw. ausfällt. Abgesehen davon ist es der gewollte Normalfall, dass jedes Unternehmen seine Leistungen vollständig durch eigene, gleichberechtigte Arbeitskräfte erbringt.

Durch Weisungsrechte, Gleitzeit, Überstunden, Arbeitszeitkonten, usw. stehen viele etablierte Instrumente zur Verfügung, intern flexibel zu sein. Leiharbeit wird erst dort benötigt, wo dieser Handlungsspielraum nicht ausreicht. Bezogen auf Berufe oder Abteilungen geht es also um temporäre Einzelfälle.

Leiharbeit hat diesen Charakter aber in der Realität weitgehend verloren. Quer durch viele schlecht und gut bezahlte Branchen hat sich eine systematisch ungerechte 2-Klassen-Gesellschaft bei den Beschäftigten breit gemacht. Teils werden so asoziale Niedriglohnsysteme betrieben, oder auf höherem Niveau als finanzielle Abgrenzung von einer privilegiert hochbezahlten Stammbelegschaft, in sehr profitablen Industriebranchen.

Dass profitorientierte Firmen/Konzerne so ein System lieben, ist naheliegend - aber entstanden ist es nur durch aktives Zutun selbst sozialdemokratisch dominierter Regierungen und "linker" Minister. Auch Gewerkschaftler haben sich "einwickeln" lassen, teils zugunsten höherer Lohnabschlüsse für ihre Mitglieder in den besserbezahlten Stammbelegschaften.

Noch schlimmer - und ab hier reden wir von einer 3-Klassen-Gesellschaft - trifft es die Mitarbeiter, die über Werkverträge dazukommen.

Durch Werkverträge holt man sich normal Leistungen in die Firma, die man z. B. aufgrund einer speziell nötigen Qualifizierung nicht durch eigenes Personal erbringen kann. Softwareexperten sind hier sinnvoll zu nennen, oder spezialisierte Handwerker. Auch am Bau ist das akzeptabel, damit ein mittelständischer Bauunternehmer nicht für alle Gewerke selbst Handwerker haben muss, um einen Bau komplett anbieten/ausführen zu können.

Massenhaft wurden und werden aber selbst die schlechter bezahlten Leiharbeiter durch Werkvertragskräfte ersetzt, die bei extra hierfür geschaffenen Subunternehmen arbeiten. Formell kriegen die Beschäftigten Mindestlohn - aber oft bei unbezahlten Überstunden. Und große Teile des geringen Lohns werden einbehalten, für Anwerbungskosten, Anreise aus Herkunftsländern und natürlich für absurd überteuerte Unterbringung in beschämenden Sammelunterkünften - womit wir beim schlechten Beispiel der großen Schlachthöfe und deren Zerlegebetrieben wären.

Besonders bei dezentral arbeitenden Branchen, z. B. in der Logistik (LKW-Fernfahrer, Paketlieferdienste), arbeiten dann oft die einzelnen Fahrer wiederum als - offenkundig Scheinselbständige - Sub-Sub-Unternehmer. Vom deutschen Mindestlohn können diese zumeist osteuropäischen Arbeitskräfte nur träumen. Am Ende des Monats können viele allein deshalb ein paar Euro in die Heimat schicken, weil sie viele Wochen ohne Unterbrechung nur im LKW-Fahrerhaus leben oder gar auf den Sitzen bzw. Ladeflächen ihrer Kleintransporter schlafen.

Das ist Realität, seit Jahren, mitten bei uns im reichen Europa - wofür ich mich immer wieder schäme, weil auch frühere Berichte (von mir und zahlreichen anderen Journalisten) hierzu kaum Verbesserungen erwirkt haben.

Wenn die Fleischindustrie das Verbot von Leiharbeit bzw. Werkverträgen als einseitige Benachteiligung vehement abgelehnt hat, ist das zynisch - aber in einem Punkt berechtigt: Ein durchgreifendes Gesetz darf sich nicht auf diese Branche begrenzen - hier muss quer durch die gesamte Arbeitswelt aufgeräumt werden, um die unfaire Lohndiskriminierung zu beenden und in den Betrieben wieder gleichberechtigte Belegschaften unter dem vollen Schutz des Arbeitsrechts und damit auch des Gesundheitsschutzes zu bekommen.
     
  Leserkontakt
   
 Rechnet man die Mehrkosten fair bezahlter Arbeit um, kommen je kg zerlegtem Fleisch vermutlich nur einige Cent dazu, was den Markt nicht umwirft. Eine Verlagerung ins billigstmögliche Osteuropa ist ohnehin nicht realistisch, weil die Schlachttiere tagelang dorthin und dann das Frischfleisch wieder zu uns zurück transportiert werden müssten.

Noch absurder war das "Argument", man hätte ja am hiesigen Arbeitsmarkt gar keine Schlachter, die die Arbeit machen könnten. Es geht ja nicht darum, die bisherigen fleißigen Schlachter loszuwerden, sie sollen nur vollwertig bezahlt direkt bei Firmen wie Westfleisch oder Tönnies eingestellt werden, um sich dann auch eine anständige, individuelle Wohnung leisten zu können, um hier nach unseren Maßstäben menschenwürdig zu leben.

Seit Jahresanfang 2021 haben wir nun eine Teillösung, als Werkvertragsverbot für die Schlacht- und Zerlegebetriebe. Leiharbeit ist seit April 2021 eingeschränkt - aber nicht als Verbot, mit Ausnahmen für Saisonspitzen und die Fleisch-Weiterverarbeitung.

Ob sich das bewährt, wird sich zeigen - aber gegen die prekären Bedingungen in anderen Branchen wurde wieder nichts ernsthaft unternommen.

Rolf Albrecht
     
   
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